Humboldt-Universität zu Berlin - Kultur-, Sozial- und Bildungswissenschaftliche Fakultät - Allgemeine Erziehungswissenschaft

Promotionsprojekt „Wozu ästhetische Bildung? Bildende Möglichkeiten der ästhetischen Erfahrung"

 

In dieser Forschungsarbeit soll das Verhältnis von Bildung und Erfahrung in Bezug auf den Begriff der ästhetischen Erfahrung untersucht werden. Bei dieser Problemstellung geht es um eine Reflexion über die Bedeutung der ästhetischen Erfahrung für Bildungsprozesse. Die Frage „wozu“ bezieht sich hier nicht auf die Notwendigkeit der ästhetischen Bildung und ihre Rechtfertigung auf sozialer oder systemischer Ebene (z.B. im Rahmen eines Bildungssystems), sondern auf die Möglichkeit, ihre Ansprüche zu problematisieren. Dabei kommt die auf Schillers Entwurf einer ästhetischen Bildungstheorie bezogene Annahme ins Spiel, dass mit ästhetischer Bildung nicht nur individuelle, sondern auch soziale und gesellschaftliche Effekte verbunden sind. Dieses führt jedoch dazu, dass sowohl außerästhetische Ansprüche bzw. normative Erwartungen als auch außerpädagogische Ziele für die Legitimation ästhetischer Erfahrung als Bildungserfahrung unterschieden werden müssen. Deshalb soll ein Zugang gewählt werden, der die Eigenlogik ästhetischer Erfahrung im Spannungsverhältnis zu gesellschaftlichen und politischen Ansprüchen einerseits und zu pädagogischen Zielen andererseits thematisiert.

 

Um einen Zugang zu den Begriffen Bildung und Erfahrung zu gewinnen, werden folgende Fragen gestellt: Kann Bildung als Erfahrungsprozess verstanden werden? Worin besteht das „bildende“ Potenzial einer Erfahrung? Wie lässt sich eine ästhetische Erfahrung beschreiben, bestimmen und von anderen Erfahrungsformen abgrenzen? Kann ästhetische Erfahrung als „bildende Erfahrung“ betrachtet werden? Und wenn ja: Findet in der ästhetischen Erfahrung eine Art „Selbstüberschreitung” statt, die immer wieder normative, gesellschaftliche und pädagogische Erwartungen konterkariert (Mollenhauer)? Ggf. passt das Ästhetische nicht in „die pädagogische Kiste“ (Mollenhauer). In Bezug auf diese Fragen kann ein Ansatz in Betracht gezogen werden, der die Veränderungen des Individuums durch die Erfahrung zu denken ermöglicht: Erfahrung ist etwas, aus dem man verändert hervorgeht (Foucault 2008). Dieser Ansatz stellt die Kontinuität und Stabilität eines (transzendentalen) „Subjekts der Erfahrung“ in Frage und eröffnet die Möglichkeit einer Bestimmung des Bildungsbegriffs, die diese Veränderungen im Erfahrungsraum als „Anderswerden“ versteht. In diesem Zusammenhang ist die Bestimmung von Bildung als ein „durch Grenzen konstituierter Erfahrungsprozess“ (Thompson 2009) von großem Interesse für diese Arbeit. Welche Grenzen müssen überschritten werden, um eine Erfahrung bildend zu machen? Für die Beantwortung dieser Frage kann eine phänomenologische Betrachtungsweise weiterführen: Der Erfahrungsprozess verweist auf etwas Neues, Unvorhergesehenes oder Überraschendes, das zu Bewusstsein gelangt (Meyer-Drawe 2008). Die Erfahrung ist mit dem „Schock“ des Neuen verbunden (Benjamin 1977). Von hier aus sind die Fragen nach der Bedeutung des Ästhetischen im Anschluss an Schiller und über ihn hinaus für Bildung, Erziehung und Politik neu zu formulieren.

 

Die Problematisierung der Ansprüche im Bereich der ästhetischen Bildung gewinnt an Aktualität im Anschluss an die heutige Diskussion zur kulturellen Bildung (z.B. in Bezug auf die Forderung „Kultur für alle”). Sie kann dazu führen, dass Grundannahmen zur Wirkung und zu Versprechungen des Ästhetischen hinterfragt werden. Da kulturelle Bildung als Oberbegriff sämtliche Angebote ästhetischer Bildung und Erziehung in formalen und nichtformalen Lernzusammenhängen umfasst, stellt sie einen vielfältigen Weltzugang dar, der im Spannungsverhältnis zu gesellschaftlichen, politischen und pädagogischen Ansprüchen steht.