Humboldt-Universität zu Berlin - Kultur-, Sozial- und Bildungswissenschaftliche Fakultät - Allgemeine Grundschulpädagogik

Humboldt-Universität zu Berlin | Kultur-, Sozial- und Bildungswissenschaftliche Fakultät | Institut für Erziehungswissenschaften | Allgemeine Grundschulpädagogik | Forschung | "Genderfiktionen. Eine rekonstruktive Studie zum konjunktiven Imaginären von Lehrer*innen und den Funktionsweisen von Geschlechtlichkeit in schulischen Handlungsräumen."

"Genderfiktionen. Eine rekonstruktive Studie zum konjunktiven Imaginären von Lehrer*innen und den Funktionsweisen von Geschlechtlichkeit in schulischen Handlungsräumen."

Anna Carnap

Dissertation zugelassen zur Promotion an der FAU Erlangen-Nürnberg im Fach Pädagogik, abgeschlossen und verteidigt (Juli 2020). Erstgutachter ist Prof. Benjamin Jörissen (FAU Erlangen-Nürnberg); Zweitgutachter Prof. Ruprecht Mattig (TU Dortmund).

Das Dissertationsprojekt widmet sich aus subjektivationstheoretischer und empirisch-rekonstruktiver Perspektive dem Umgang mit Geschlechtlichkeit im Handlungsfeld Schule. Vor dem Hintergrund, dass „pädagogisches Tun strukturell an der Produktion von Differenzen beteiligt" ist und „pädagogisches Handeln als eines im Kern ambivalenten Anerkennungsgeschehens" gefasst werden kann (Rabenstein & Reh, 2013, S. 240 mit Verweis auf Ricken, 2009), wird die Schule einerseits machtkritisch als Raum bestimmter Sag- und Sichtbarkeit beforscht und andererseits praxeologisch als Erfahrungsraum. Dazu wurde ein rekonstruktives, auf die Dokumentarische Methode (Bohnsack 1991, 2017; Bohnsack et. al 2007) aufbauendes Forschungsdesign entwickelt, das es erlaubt, diskursive und erfahrungsraumspezifische Dimensionen der Praxis als miteinander verschränkte Wirksamkeitsweisen in den Blick zu nehmen. Das Design hebt auf das konjunktive Imaginäre als Ort der Verschränkung von Diskurs und Praxis ab, das mittels der Genderfiktion als Analyseeinstellung empirisch zugänglich wird. Denn die Fiktion, so Wolfgang Iser (1993), überschreitet gegenseitig das Imaginäre und das Reale und übernimmt für ihre Anwender*innen je bestimmte Funktionsweisen, etwa über das Ungewisse hinwegzutragen. Geschlechtlichkeit wird theoretisch-begrifflich und methodisch als Fiktion konzipiert, deren Relevantsetzung je bestimmte, praxeologisch sinnstiftende – und d.h. auch rekonstruierbare - Funktionen erfüllt.

Es wurden sechs Fotogruppendiskussionen mit Lehrer*innen und – als Kontrast – zwei Fotogruppendiskussionen mit Künstler*innen erhoben und komparativ ausgewertet. Als Gesprächsgrundlage dienten künstlerische Portraitfotografien von Wolfgang Tillmans (2012) und Bettina Flittner (2008). Die Auswertung zeigte, wie die beforschten Lehrer*innen – im Gegensatz zu den beforschten Künstler*innen – unter Hinzunahme von Genderfiktionen sich selbst und ihr Gegenüber auf je bestimmte Weise zueinander positionieren und somit je bestimmte, unterschiedliche Un-/Möglichkeiten schaffen, miteinander in Interaktion zu treten. Die Genderfiktionen wurden von den Lehrer*innen – so ließe sich kritisch resümmieren – für pädagogische Zwecke instrumentalisiert. Gleichsam zeigte sich bei den Lehrer*innen die Notwendigkeit, einen an die Körperlichkeit der potentiellen Interaktionpartner*innen anschließenden Handlungsrahmen zu schaffen. Die Arbeit schließt mit einem Plädoyer für die Pluralisierung von Genderfiktionen in der Lehrer*innenbildung zur Erweiterung des professionell-pädagogischen Handlungsrepertoires.

 

Weiterführende Links:

Artikel zur Arbeit: Carnap, Anna 2019: Die (Re-)Produktion vergeschlechtlichter Subjekte in ambivalent-anerkennenden Wahrnehmungshandlungen von Lehrer*innen. Zentrale Vorannahmen und ausgewählte Ergebnisse einer rekonstruktiven Studie ausgehend von Fotogruppendiskussionen. Erlangen-Nürnberg 2019, 16 Seiten.

https://www.pedocs.de/frontdoor.php?source_opus=18132 (Stand:19.04.2021).

 

Quellen:
Bohnsack, Ralf; Nentwig-Gesemann, Iris; Nohl, Arnd-Michael (Hrsg.) 2007: Die Dokumentarische Methode und ihre Forschungspraxis. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden.

Flitner, Bettina 2008: FRAUEN die forschen – 25 Porträts von Bettina Flitner. Herausgegeben von Jeanne Rubner. Mit einem Vorwort von Dr. Annette Schavan. Collection Rolf Heyne, München.

Iser, Wolfgang 1993: Das Fiktive und das Imaginäre. Perspektiven literarischer Anthropologie. Suhrkamp Verlag, Frankfurt/M.

Rabenstein, Kerstin: Sabine, Reh 2013: Die soziale Konstitution des Unterrichts in pädagogischen Praktiken und die Potentiale qualitativer Unterrichtsforschung. In: Zeitschrift für Pädagogik, 59. Jg., Heft 03, S. 291-308.

Tillmans, Wolfgang 2012: Neue Welt. Wolfgang Tillmans. Edited and designed by Wolfgang Tillmans. With an Interview by Beatrix Ruf. Kunsthalle Zürich. Taschen Verlag, Köln.