Informationen zum Projekt
Ethos bzw. Haltung zählen zum Kernbestand der Vorstellungen von guten, kompetenten und professionellen Lehrkräften. Gute Lehrer*innen, so die gängige Meinung, zeichnen sich eben nicht nur durch großes Wissen, durch eine ausgefeilte Methodik oder durch minutiöses Classroom Management aus. Sie sollen nicht nur ‚Dienst nach Vorschrift‘ machen, sondern eine Haltung verkörpern und in herausfordernden Situationen schnell, dabei aber auch ‚richtig‘, ‚angemessen´ und ‚gut‘ entscheiden.
Das pädagogische Ethos ist im Lehrberuf eine der komplexesten und schwierigsten Aufgaben in der Herausbildung eines professionellen Handelns und einer professionellen Persönlichkeit. Bringt man die Rede auf das Ethos, sieht man sich sofort mit Fragen konfrontiert, was denn genau ein Ethos (bzw. ein ‚gutes‘ oder ‚richtiges‘ Ethos) sei; eines der Fürsorge, der Orientierung an Bildungs- und Wissensinhalten oder gar eines der distanzierten und disziplinierten Unterrichtsführung? Diese Fragen werden noch einmal schwieriger, wenn man nach der Herausbildung eines pädagogischen Ethos fragt, also nach dem Prozess, in dem angehende Lehrer*innen aber auch erfahrene Praktiker*innen ein Ethos einüben.
Im Projekt „Ethos im Lehrberuf (ELBE): Manual zur Übung einer professionellen Haltung“ haben wir uns diesen Fragen gestellt. Wir haben unter Berücksichtigung des Forschungsstandes zum Thema Ethos und weiterer, eigener Theoriearbeit sowie ausgehend von Berichten gelebter Erfahrung aus dem Schulalltag von Studierenden ein Konzept des Ethos von Lehrer*innen entwickelt, das die wissenschaftliche Diskussion zum Thema Ethos bereichern soll. Aufbauend auf diesem Konzept haben wir ein Manual erstellt, dieses in der Praxis der Lehrkräftebildung erprobt, evaluiert und anschließend verbessert. Das Manual soll es angehenden Lehrer*innen in der ersten Phase der Lehrkräfteausbildung ermöglichen, mit dem Thema ‚Ethos‘ in Kontakt zu treten und es als ein wichtiges Feld der professionellen Entwicklung kennen zu lernen. Das Manual ist für den Einsatz in der Lehrer*innenbildung an Hochschulen konzipiert und richtet sich vornehmlich an Dozierende in diesen Lehrbereichen. Darüber hinaus kann es aber auch von Lehrer*innen in der zweiten und dritten Phase für Fort- und Weiterbildung genutzt werden.
Das Ethos von Lehrer*innen, wie wir es im Projekt fassen, zeigt sich als ‚gute‘ und ‚gelungene Praxis‘, in der sich eine Person auf der Grundlage von ethischen Werten und professionellen Erfahrungen positioniert bzw. Stellung bezieht und Verantwortung übernimmt. Mit diesem Manual (dem ELBE-Manual) sollen Übungen des Ethos als Übungen in der moralischen Entscheidungsfähigkeit in die universitäre Lehrer*innenbildung eingeführt werden.
Dazu finden sich im Manual einführende Texte zu den Themen Ethos (Kapitel 1), zur professionstheoretischen Verortung des pädagogischen Ethos in einem Domänenmodell der Professionalität (EPIK-Domänen, Kapitel 2) und zur praktischen Anwendung des Manuals in der Hochschullehre (Kapitel 3). Neben diesen einführenden Kapiteln besteht das ‚Herzstück‘ des Manuals in einer Sammlung von 24 Beispielen aus der schulischen Praxis (Kapitel 4). Sie alle stammen aus den Praktikumsreflexionen angehender Lehrer*innen der Universität Innsbruck, sie alle beschreiben herausfordernde Situationen, in denen Ethos gefragt ist oder sich zeigt – wir nennen dies eine Situation, die sich durch ethische Ambiguität auszeichnet. Ethische Ambiguität heißt, dass sich die tatsächlichen oder möglichen Handlungen auf unterschiedliche professionelle oder gesellschaftliche Normen sowie auf unterschiedliche Tugenden (Gerechtigkeit, Klugheit, Integrität etc.) zurückbeziehen lassen könnten, dass aber nicht eindeutig zu entscheiden ist, welche dieser Normen oder Tugenden in der Situation die richtige ist. Vor allem aber laden die Beispiele dazu ein, sich in sie hineinzudenken und hineinzufühlen, sie nachzuvollziehen, sich von ihnen herausfordern und befremden zu lassen und über sie hinauszugehen, weiterzudenken sowie einen Transfer für die eigene Praxis zu leisten. So führen die Beispiele ein in eine Praxis der Stellungnahme und des Fällens von (ethischen) Urteilen, eine Form der Übung, die zur Herausbildung eines Ethos beiträgt.
Die Beispiele sind jeweils durch Ergänzungen gerahmt, die zur Arbeit an und mit ihnen anregen sollen – diese Ergänzungen sind aber kein ‚Muss‘, jedes Beispiel spricht auch für sich selbst und kann flexibel eingesetzt werden (siehe dazu Kapitel 3: Konzept zur praktischen Umsetzung des Manuals und Kapitel 4: Beispielsammlung). Im Anhang des Manuals befinden sich ein Schlagwortverzeichnis zur Orientierung in der Beispielsammlung und ein Glossar sowie weiterführende Literatur.
Wir – das Projektteam des ELBE-Manuals – hoffen, dass mit diesem Manual das Thema Ethos in der Lehrer*innenbildung neue Aufmerksamkeit erhält und wünschen allen Studierenden, Dozierenden und Praktiker*innen, welche mit dem Manual arbeiten, viele neue und anregende Erfahrungen bei der Diskussion und der Arbeit mit unserer Beispielsammlung!